12.03.2025

Wohnraum und landwirtschaftliche Betriebe – eine Frage des Geruchs 2.0

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. November 2024 – 8 S 2532/22 

ein Beitrag von Karla Wiesenfeldt

Das Urteil des VGH spiegelt im Hinblick auf die Verschärfung des dringenden Wohnraumbedarfs eine erfreuliche Entwicklung der Rechtsprechung zur Bewältigung von Konflikten zwischen neuer Wohnnutzung und landwirtschaftlichen Geruchsimmissionen wider.

Sachverhalt:

Die Kläger beantragten im Jahr 2018 einen Bauvorbescheid für den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser. Ein Neubau sollte anstelle eines 2017 abgerissenen Wohnhauses, der andere Neubau anstelle einer abgerissenen Gaststätte mit Übernachtungsmöglichkeit errichtet werden. Ein Bebauungsplan bestand nicht. In der Nähe befand sich ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Schweinehaltung. Die Jahres-Geruchsstunden betrugen beim Ort der Vorhaben 0,25 bzw. 0,31.

Der Antrag auf den Bauvorbescheid wurde durch das Landratsamt abgelehnt. Das VG Sigmaringen wies die dagegen gerichtete Klage ab. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO liege wegen unzumutbarer Geruchsimmissionen für das Bauvorhaben vor.

Entscheidung:

Der VGH Mannheim gab der Berufung der Kläger statt und verpflichtete die Beklagte den beantragten Bauvorbescheid zu erlassen.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO liege nicht vor.

Zwar werden die Grenzwerte der hier aufgrund einer Überleitungsvorschrift noch anwendbaren Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) überschritten. Auf deren Grenzwerte allein komme es aber nicht an. Es sei eine Würdigung der Umstände im Einzelfall, erforderlich. Soweit die zu erwartenden Immissionen sich im Rahmen der ortsüblichen Belastungen auf vergleichbare Nutzungen bewegen, seien sie hinnehmbar, solange sie die Grenze zur Gesundheitsgefahr nicht überschreiten. Es werden weder vorhandene Konflikte verschärft noch neue Nutzungskonflikte begründet.

Bezüglich des Neubaus, welcher an Stelle eines Wohnhauses errichtet werden soll, werde ein neuer Konflikt bereits nicht begründet. Die ehemalige Wohnnutzung entfalte nachprägende Wirkung, sodass die Rücksichtnahmepflichten durch die Neuerrichtung nicht verändert werden.

Auch eine Erhöhung der Anzahl an Bewohnern der Wohnnutzung führe nicht zu einer Verschärfung des bestehenden Nutzungskonflikts.

Bezüglich des zweiten Neubaus könne das ehemalige Gasthaus zwar keine nachprägende Wirkung hinsichtlich einer Wohnnutzung entfalten. Der entstehende Nutzungskonflikt verbleibe jedoch im Rahmen der ortsüblichen Belastung. Innerhalb des Ortes sind noch weitere Wohngrundstücke ähnlichen Geruchsimmissionen ausgesetzt wie das geplante Bauvorhaben. Damit bestehe auch hier kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot mangels Verschärfung des bereits bestehenden Nutzungskonflikts.

Fazit

Das Urteil des VGH reiht sich ein in eine Rechtsprechung, die zur weiteren Klärung der Zulässigkeit von Wohnnutzung im ländlichen Raum führt.

Die Feststellung, dass die Grenzwerte der GIRL keine strikt einzuhaltenden Vorgaben sind, sondern im Rahmen einer Betrachtung des Einzelfalls Berücksichtigung finden müssen, bestätigt bestehende Rechtsprechung des BVerwG (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 4 C 3/16 –, BVerwG, Urt. v. 15.09.2022 – 4 C 3/21), ebenso wie die Berücksichtigung des Kriteriums der Ortsüblichkeit der Immissionen (BVerwG, Urt. v. 15.09.2022 – 4 C 3/21). Hierzu haben wir bereits berichtet  (https://sparwasser-schmidt.de/ausbau-von-scheunen-zu-wohnraum-eine-frage-des-geruchs/).  

Die darüberhinausgehende Entscheidung zugunsten der nachprägenden Wirkung von ehemals bestehender Wohnbebauung schafft weitere Erleichterungen für vergleich-bare Vorhaben. Gleiches gilt für die Klärung der Frage, ob eine erhöhte Anzahl an Wohnberechtigten Nutzungskonflikte verschärft.

Ob ein Verstoß des Rücksichtnahmegebot vorliegt, ist aber weiterhin eine Frage des Einzelfalls. Gleiches gilt für die nachprägende Wirkung durch ehemalige Bebauung.  Mit der neuen Entscheidung gibt der VGH aber gutes Werkzeug zur Hand, um die Zulässigkeit weiterer Bauvorhaben rechtlich beurteilen zu können. Eine sinnvolle Entscheidung, die in Zeiten des Wohnraummangels zu begrüßen ist.

Maßgebliche Vorschrift:

§ 15 BauNVO

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) …


Beitrag von Rechtsanwältin 

Karla Wiesenfeldt