27.07.2022

BayVGH: Satzungen mit Grundrechtsrelevanz sind zu begründen und die Begründung zu veröffentlichen 

Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Neusüß

BayVGH, Beschl. v. 03.06.2022 – 12 N 21.1208

Nach Auffassung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs sind Satzungen mit Grundrechtsrelevanz bei Normerlass zu begründen und die Begründung öffentlich zugänglich zu machen. Bei konsequenter Anwendung dieser Rechtsprechung wäre praktisch jede Satzung unwirksam.

Sachverhalt:

Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen eine kommunale Satzung zum Verbot der Zweckentfremdung.

Streitig war, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass der Satzung vorlagen, insbesondere ob die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet war, und ob die Interessen der Eigentümer ordnungsgemäß abgewogen worden sind.

Die Kommune berief sich in diesem Zusammenhang offenbar auch auf Begründungen, die in der Beschlussvorlage zur Satzung nicht genannt waren. Zudem wurde die Beschlussvorlage nicht veröffentlicht.

Entscheidung:

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass im Lichte der Freiheitsverbürgung des Grundgesetzes jegliches staatliche Handeln rechtfertigungs- und damit zugleich auch begründungsbedürftig ist. Staatliche Akte, gleich ob Verwaltungsakt, Rechtsverordnung oder Satzung, die in den Anwendungs- und Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG fallen und damit zu Auseinandersetzungen führen können, müssen ausnahmslos mit einer Begründung versehen werden, die spätestens bei Erlass des betreffenden Rechtsaktes vorliegen und allgemein zugänglich sein müssen.

Der Normgeber müsse sich zum Zeitpunkt des Normerlasses im Klaren darüber sein, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen. Nur die tragfähige Begründung und empirische Darlegung des Vorliegens der Normerlassvoraussetzungen sicherten den durch das Rechtsstaatsprinzip und die Garantie effektiven Rechtsschutzes gewährleisteten Freiheitsanspruch des Einzelnen. 

Im Rahmen der Überprüfung der Satzung sei danach allein die Begründung maßgeblich, die bei Erlass der Satzung vorlag und der Öffentlichkeit allgemein zugänglich gemacht wurde. Im Gerichtsverfahren nachgeschobene Begründungen seien demnach nicht ausreichend und bleiben bei konsequenter Anwendung der Rechtsprechung außer Acht.

Fazit und Ausblick:

Die Entscheidung entspricht einer Entwicklung der Rechtsprechung, die nicht nur das Ergebnis auf Rechtmäßigkeit überprüft, sondern auch hohe Anforderungen an das Verfahren stellt, um eine rechtsstaatliche Entscheidung sicherzustellen. 

Die Entscheidung hat indes weitreichende Auswirkungen: Nach unserer Erfahrung ist – abgesehen von Bebauungsplänen, für die die Begründungspflicht gesetzlich geregelt ist – kaum eine Satzung in dem geforderten Maße begründet und ggf. vorhandene Begründungen werden höchst selten veröffentlicht. Bei konsequenter Anwendung der Entscheidung wäre damit praktisch jede Satzung nichtig. Tatsächlich hat die Rechtsprechung fehlende Begründungen oder deren unzureichende Veröffentlichung bislang regelmäßig nicht beanstandet, sondern die Satzung nur darauf überprüft, ob sie im Ergebnis rechtmäßig ist.

Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, ob sich die Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs durchsetzt. Selbst für Verwaltungsakte ist anerkannt, dass die Begründung nachgeholt werden kann, § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, und sogar Ermessenserwägungen nachgeschoben werden können, § 114 Abs. 1 VwGO. Es ist daher nicht zwingend, bei Satzungen (allein) auf die veröffentlichte Begründung bei Satzungsbeschluss abzustellen.  Nahe liegt, dass die Anforderungen jedenfalls auf Satzungen mit hoher Grundrechtsrelevanz wie beispielsweise Zweckentfremdungsverbotsgesetze beschränkt bleiben, auch wenn die Begründung des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes nicht danach differenziert. Wer Rechtsunsicherheiten ausschließen will, dem ist zu empfehlen, jedenfalls zukünftig Satzungen zu begründen und die Begründung zu veröffentlichen.

Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Neusüß

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