11.09.2023

§ 13b BauGB unionsrechtswidrig – Urteilsgründe liegen vor

BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22

In den heute am 11.09.2023 veröffentlichten Urteilsgründen äußert das Bundesverwaltungsgericht in einem obiter dictum mit knapper Begründung die Auffassung, dass § 13b BauGB ohne Gesetzesänderung vollständig unangewendet bleibt. Es ist in diesen Fällen also insgesamt ins Regelverfahren mit Änderung des Flächennutzungsplans im Parallelverfahren und mit Eingriff-Ausgleichs-Bilanzierung zu wechseln.

Im Einzelnen:

I. Das Urteil

Mit weitreichenden Folgen hat das Bundesverwaltungsgericht am 18.07.2023 § 13b BauGB für unvereinbar mit Unionsrecht erklärt.

§ 13b BauGB erlaubt für bestimmte Planaufstellungen im Außenbereich die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens im Sinne des § 13a BauGB. Daraus ergeben sich erhebliche Verfahrenserleichterungen wie insbesondere

  • die erst nachträgliche Anpassung des Flächennutzungsplans und
  • der Verzicht auf
    • die Eingriffs-/Ausgleichsregelung (§ 1a BauGB),
    • die Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB)
    • und den Umweltbericht (§ 2a BauGB).

Nach Unionsrecht muss bei Verzicht auf die Umweltprüfung und den Umweltbericht gewährleistet sein, dass erhebliche Umweltauswirkungen von vornherein ausgeschlossen sind.

Dies ist allein durch die Gebietstypik des § 13b BauGB nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ausreichend gewährleistet, der Verzicht auf Umweltprüfung und Umweltbericht somit mit Unionsrecht (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 der SUP-Richtlinie) unvereinbar. Damit gilt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts.

II.   Auswirkungen auf Bebauungsplanverfahren

1. Beachtlichkeit des Fehlers nach § 214 BauGB

Ein fehlerhaft auf § 13b BauGB gestützter Bebauungsplan leidet zwar nicht schon deshalb an einem beachtlichen Fehler nach § 214 BauGB und ist nicht allein deshalb unwirksam.

Jedoch hat die Kommune in Folge der Anwendung des § 13b BauGB in der Regel auf einen (förmlichen) Umweltbericht und dessen öffentliche Auslegung (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB) genauso verzichtet wie auf die Angabe der verfügbaren umweltbezogenen Informationen in der Bekanntmachung.

Diese Folgefehler ihrerseits sind beachtlich, vgl. § 214 Abs. 1 Nr. 3 BauGB, und führen somit zur Unwirksamkeit so aufgestellter Bebauungspläne.

2. Unbeachtlichkeit nach § 215 BauGB

In dem entschiedenen Fall wurden diese Fehler innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt. Ob mit Unionsrecht vereinbar ist, dass sie gemäß § 215 BauGB nach einem Jahr unbeachtlich werden, musste das Bundesverwaltungsgericht somit in diesem Fall nicht entscheiden.

In einem früheren Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings angenommen, dass § 215 BauGB europarechtskonform ist. Es hatte die Frage aber wegen verbleibender Zweifel dem EuGH vorgelegt.

BVerwG, EuGH-Vorlage vom 14. März 2017 – 4 CN 3/16 –, juris.

Der EuGH hat nicht entschieden, weil der Normenkontrollantrag zurückgenommen wurde. Die vom Bundesverwaltungsgericht geäußerten Zweifel bestehen aber im vorliegenden Fall wohl nicht. Denn sie ergeben sich – wenn sie überhaupt noch aktuell sind – aus der UVP-Richtlinie. Eine UVP-Pflicht besteht für § 13b-Bebauungspläne grundsätzlich nicht: Nach Ziff. 18.7.2 der Anlage 1 zum UVPG sind Städtebauprojekte allerdings erst ab einer Grundfläche von 20.000 qm UVP-pflichtig. Nach der SUP-Richtlinie dürfte sich die Frage der Unionswidrigkeit des § 215 BauGB aber gar nicht stellen.

3. Reichweite des Anwendungsvorrangs – § 13b BauGB insgesamt nicht anwendbar.

Aus den Entscheidungsgründen geht nunmehr hervor, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts insgesamt auf das Regelverfahren umzustellen ist:

Wegen der Unanwendbarkeit des § 13b BauGB geht der Verweis in Satz 1 auf § 13a BauGB ins Leere. Das gilt insgesamt und betrifft nicht nur § 13a Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Das beschleunigte Verfahren zeichnet sich gerade durch den (nach § 13a Abs. 3 BauGB bekannt zu machenden) Verzicht auf eine Umweltprüfung aus (vgl. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB: „wird von der Umweltprüfung … abgesehen“). Die übrigen in § 13a Abs. 2 BauGB vorgesehenen verfahrens- und materiell-rechtlichen Modifikationen knüpfen daran als begleitende Regelungen an und sind Teil eines Vereinfachungs- und Beschleunigungskonzepts für Bebauungspläne der Innenentwicklung.

BVerwG, Urteil vom 18.07.2023 – 4 CN 3.22, https://www.bverwg.de/180723U4CN3.22.0, Rn. 18.

Wir halten dies weiterhin aus folgenden Gründen nicht für überzeugend:

Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts führt jedenfalls zur Nichtanwendbarkeit des § 13b nur!, soweit dieser gegen Unionsrecht verstößt:

„Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts (stRspr, vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964 – Rs. 6-64 [ECLI:EU:C:1964:66], Costa/E.N.E.L. -), nach dem nationales Recht insoweit unanwendbar ist, als es dem Unionsrecht entgegensteht, stellt sicher, dass sich das Unionsrecht auch gegen entgegenstehendes nationales Gesetzesrecht durchsetzt und eröffnet insoweit den nationalen Gerichten auch eine Rechtsanwendung gegen das nationale Recht (zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen und Grenzen vgl. BVerfG, Urteil vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u.a. – BVerfGE 123, 267 <396 ff., 401 f.>; Beschluss vom 6. Juli 2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 <301 ff.>).“ (Hervorhebungen durch Unterzeichner)

BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 – 1 C 20/19 –, Rn. 48, juris.

„Das vorrangige europäische Recht muss angewendet, das entgegenstehende nationale Recht darf nicht angewendet werden. Unterschiede ergeben sich dort, wo eine nationale Norm teilweise europäischen Bezug hat und dort dem Anwendungsvorrang ausgesetzt ist, teilweise aber nur nationale Fälle betrifft. Im rein nationalen Bereich muss die Norm weiter uneingeschränkt zur Anwendung kommen.“ (Hervorhebungen durch Unterzeichner)

Appel: in Koch/Hoffmann/Reese, Umweltrecht, 2018, Rn. 77.

Dass der Gesetzgeber die weiteren Erleichterungen, die mit der Erstellung des Umweltberichts nichts zu tun haben (Verzicht auf die Änderung des Flächennutzungsplans) oder das materielle Recht betreffen (Verzicht auf Eingriffs-Ausgleichs-Bilanz nach § 1a Abs. 3 BauGB), nur begleitend zum Verzicht auf die Umweltprüfung, die in § 13a BauGB gar keine unmittelbare Erwähnung findet, wollte, behauptet das Bundesverwaltungsgericht, begründet es aber nicht weiter. Dabei wäre den Gemeinden doch jede Erleichterung in den langwierigen, aufwendigen und kostspieligen Bebauungsplanaufstellungsverfahren willkommen! Solche Erleichterungen wollte der Gesetzgeber sicher ungeachtet europarechtlicher Verfahrensanforderungen zulassen und eben nicht nur „begleitend“.

Den oben zitierten weiteren Erleichterungen liegen auch keine unionsrechtlichen Vorgaben zugrunde, ein Konflikt mit Unionsrecht besteht insoweit nicht. Weder Behörden noch Gerichte dürfen § 13b BauGB über den unionsrechtlichen Verstoß hinaus verwerfen. Abgesehen vom Anwendungsvorrang des Europarechts hat nur das Bundesverfassungsgericht die Befugnis, Gesetze für unwirksam zu erklären. Das wirft auch die Frage nach dem gesetzlichen Richter auf, was aber erst einmal nur die betroffene Gemeinde klären lassen könnte.

In der Praxis wird man sich allerdings an die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts halten müssen, auch wo sie nur obiter dictum, also nicht entscheidungstragend erfolgt. Wer wird es schon darauf ankommen lassen, nur den Umweltbericht nachzuholen und Flächennutzungsplan und Eingriffs-Ausgleichsbilanz zu ignorieren?

Neben laufenden Verfahren wird diese Frage auch bei der Heilung von Bebauungsplänen gemäß § 214 Abs. 4 BauGB relevant.

III.  … und Baugenehmigungsverfahren

1. Bereits bestandskräftige Baugenehmigungen dürften von der Entscheidung grundsätzlich unberührt bleiben. Nach § 48 VwVfG können die Baurechtsbehörden rechtswidrige Baugenehmigungen zwar zurücknehmen. Dieses Ermessen wird durch die Unionsrechtswidrigkeit aber nicht überlagert, sondern ist – wie sonst auch – auszuüben. Etwas anderes gilt nur im Beihilferecht. Nicht ausgeschlossen ist allerdings, dass Umweltvereinigungen Baugenehmigungen noch angreifen können.

2. In laufenden Genehmigungsverfahren werden die Behörden so vorzugehen haben wie sonst auch bei aus ihrer Sicht unwirksamen Bebauungsplänen: Sie haben die Gemeinden anzuhören und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme/Heilung zu geben. Insofern gilt nichts anderes als bei nach nationalem Recht unwirksamen Bebauungsplänen. Allenfalls wenn sich die Gemeinde weigert, ein Heilungsverfahren durchzuführen, könnte es auf den Anwendungsvorrang des Euroaparechts ankommen. Aber auch hier gilt: Festgestellt wurde nur die Unionsrechtswidrigkeit des § 13b BauGB durch das Bundesverwaltungsgericht.

3. Bei bereits aufgesiedelten Gebieten wird die bauliche Anlage dann am Maßstab des § 34 BauGB zu messen sein, sonst nach § 35 BauGB.

IV.  Fazit

Die Entscheidung ist ein Paukenschlag und stellt viele Gemeinden, aber auch Genehmigungsbehörden vor große Herausforderungen.

Beitrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Reinhard Sparwasser

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Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Neusüß

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