22.11.2022

„Unwirksame Preisabreden im Falle eines Mietervorkaufsrechts“

Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Ole Jena

BGH, Urt. v. 23.02.2022 – VIII ZR 305/20

Sachverhalt:

Die Klägerin mietete seit 2011 eine Wohnung (47 m²) in einem Mehrfamilienhaus der Beklagten. Im Jahr 2015 teilte die Beklagte das Haus in Wohnungseigentumseinheiten auf. Ein Jahr später veräußerte die Beklagte die an die Klägerin vermietete Wohnung an einen Dritten („Erstkäufer“). Im Kaufvertrag ist folgende Kaufpreisabrede enthalten:

Der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz beträgt 163.266,67 EUR […]. Die Parteien gehen davon aus, dass Bemessungsgrundlage des Wohnungskaufpreises i.H.v. 163.266,67 EUR die Lieferung des Wohnungseigentums ohne Mietverhältnis mit einem Dritten ist. Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Es gilt ‚ohne Mietverhältnis mit einem Dritten‘ zu liefern, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis aufgelöst oder gekündigt ist. Wird das Wohnungseigentum [ent]gegen vorstehender Beschreibung mit dem laufenden oder einem anderen Mietverhältnis geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10 % auf 146.940,00 EUR für das Wohnungseigentum.“

Die Klägerin erklärte die Ausübung ihres Vorkaufsrechts aus § 577 BGB i.V.m. §§ 463 ff. BGB und zahlte unter Vorbehalt der Rückzahlung EUR 163.266,67 an die Beklagte.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Rückzahlung der Differenz zum geringeren Kaufpreis in Höhe von 16.326,67 Euro zzgl. Zinsen, weil die Regelung über den erhöhten Preis unwirksam sei.

Das Landgericht und das Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Entscheidung:

Der BGH hielt die Preisabrede im konkreten Fall für unwirksam.

Hierbei setzte sich der Senat mit den verschiedenen Meinungen zur Kaufpreisgestaltung bei Mietvorkaufsrechten auseinander.

Zum einen werden Preisabreden allgemein oder jedenfalls dann für zulässig gehalten, wenn sie nicht ausschließlich von der Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern allgemein von dem Erlöschen des Mietverhältnisses (bspw. Kündigung oder Konfusion) abhängig sind. Teilweise wird noch verlangt, dass die Preisdifferenzierung für den Verkauf der Wohnung im vermieteten Zustand einerseits und im unvermieteten Zustand andererseits den Marktgegebenheiten entsprechen müsse. Begründet wird diese Auffassung damit, dass sonst der Mieter die Wohnung zu günstigeren Bedingungen erwerben könnte als der Erstkäufer. Eine solche Besserstellung sei durch § 577 BGB nicht beabsichtigt.

Andere halten solche Vereinbarungen für unwirksam, da die Abhängigkeit der Kaufpreishöhe von der (Nicht-)ausübung des Vorkaufsrechts dem Rechtsgedanken des § 465 BGB widerspreche. Die Abrede führe dazu, dass der Mieter stets den höheren Kaufpreis zahlen müsse, der Erstkäufer hingegen regelmäßig nur den niedrigeren.

Der BGH entschied im Sinne der letztgenannten Meinung. Der Mieter erwirbt nach § 577 Abs. 1 S. 3 i.V.m. § 464 Abs. 2 BGB zu den Bedingungen, die mit dem Erstkäufer vereinbart wurden. Der Erstkäufer erwirbt wegen der Wertung des § 566 BGB sowie der strengen Kündigungsvorschriften regelmäßig zum niedrigeren Kaufpreis. Diese Möglichkeit bleibt dem Mieter wegen Konfusion verschlossen.  Daher weiche die Vereinbarung zum Nachteil des Mieters von der gesetzlichen Regelung des § 464 Abs. 2 BGB (hier i.V.m. § 577 Abs. 1 S. 3 BGB) ab und sei als Vertrag zu Lasten Dritter unwirksam. Etwas anderes folgt auch nicht unter Verweis auf höhere Marktpreise für unvermietete Wohnungen. Es sei – so der BGH – schon nicht gesagt, dass vermietete Wohnungen stets einen geringeren Marktwert haben. Außerdem ist dem Gesetz eine klare Wertung zugunsten des Vorkaufsberechtigten zu entnehmen. Durch das Vorkaufsrecht soll der Mieter in die Lage versetzt werden, die Wohnung zu dem Preis zu erwerben, den auch der Dritte zu zahlen bereit ist. Folglich muss der Mieter so erwerben können, als sei die Wohnung vermietet.

Aufgrund der unwirksamen Kaufpreisabrede musste die Klägerin nur den geringeren Kaufpreis zahlen. Die zu viel gezahlte Differenz konnte sie nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB herausverlangen.

Fazit:

Der BGH hat die bislang ungeklärte Frage zu Kaufpreisabreden entschieden und sich mit dem Berufungsgericht entgegen einer früheren Entscheidung des OLG München vom 21.02.2005 (Az. 10 W 672/05) gegen die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen ausgesprochen. Die Entscheidung sollte jeder Verkäufer kennen, der eine mit einem Vorkaufsrecht des Mieters belastete Wohnung veräußern will, um den Kaufpreis in seinem Sinne zu kalkulieren. Vor allem aber sollten Notare die Entscheidung kennen, da sie gem. § 4 BeurkG verpflichtet sind, die Beurkundung abzulehnen, wenn dabei unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden.

Offen bleibt, ob die Wertungen auch auf andere Vorkaufsrechte übertragbar sind, die auf § 464 Abs. 2 BGB verweisen (z.B. das dingliche Vorkaufsrecht oder die Vorkaufsrechte aus dem BauGB). Ein Notar ist gut beraten, hierauf zumindest hinzuweisen, vgl. §§ 14 Abs. 1, 19 BNotO i.V.m. § 17 BeurkG.

Am Rande erwähnt der BGH noch, dass es dem Verkäufer unbenommen bleibt, mit dem Erstkäufer einen höheren Kaufpreis für den Fall zu vereinbaren, dass das bei Vertragsschluss bestehende Mietverhältnis zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt vor dem Eigentümerwechsel durch Kündigung oder einvernehmliche Aufhebung erloschen sein sollte. Auf diesem Weg kann er sicherstellen, dass es ggf. ihm zugutekäme, wenn der Mieter sich aus eigenem Antrieb noch vor dem Eigentümerwechsel zu einer Kündigung des Mietverhältnisses entscheiden sollte oder sich Umstände ergeben sollten, die den Vermieter zu einer Kündigung berechtigten.

Maßgebliche Vorschriften:

§ 464 Ausübung des Vorkaufsrechts

  • Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Verpflichteten. Die Erklärung bedarf nicht der für den Kaufvertrag bestimmten Form.
  • Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts kommt der Kauf zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten unter den Bestimmungen zustande, welche der Verpflichtete mit dem Dritten vereinbart hat.

§ 465 Unwirksame Vereinbarungen

Eine Vereinbarung des Verpflichteten mit dem Dritten, durch welche der Kauf von der Nichtausübung des Vorkaufsrechts abhängig gemacht oder dem Verpflichteten für den Fall der Ausübung des Vorkaufsrechts der Rücktritt vorbehalten wird, ist dem Vorkaufsberechtigten gegenüber unwirksam.

§ 577 Vorkaufsrecht des Mieters

  • Werden vermietete Wohnräume, an denen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist oder begründet werden soll, an einen Dritten verkauft, so ist der Mieter zum Vorkauf berechtigt. Dies gilt nicht, wenn der Vermieter die Wohnräume an einen Familienangehörigen oder an einen Angehörigen seines Haushalts verkauft. Soweit sich nicht aus den nachfolgenden Absätzen etwas anderes ergibt, finden auf das Vorkaufsrecht die Vorschriften über den Vorkauf Anwendung.
  • Die Mitteilung des Verkäufers oder des Dritten über den Inhalt des Kaufvertrags ist mit einer Unterrichtung des Mieters über sein Vorkaufsrecht zu verbinden.
  • Die Ausübung des Vorkaufsrechts erfolgt durch schriftliche Erklärung des Mieters gegenüber dem Verkäufer.
  • Stirbt der Mieter, so geht das Vorkaufsrecht auf diejenigen über, die in das Mietverhältnis nach § 563 Abs. 1 oder 2 eintreten.
  • Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Beitrag von Rechtsanwalt
Dr. Ole Jena

Vita, Veröffentlichungen & Co.:

Hier lesen Sie mehr über Dr. Ole Jena