von Rechtsanwalt Prof. Dr. Reinhard Sparwasser und Rechtsanwältin Dr. Marlene Voigt*
Wahlkampfzeiten sind Zeiten sozialer Medien. Hier herrschen eigene Regeln und wenig Sitten. Gemeinden sind gleich mehrfach betroffen: Die Qualität des Wahlkampfs bestimmt hier auch über die Qualität der zukünftigen Volksvertreter. Und Gemeinden unterhalten selbst Bürgerplattformen zur Pflege des Gemeinsinns und zum – auch politischen – Gedankenaustausch. Die notwendige Reaktion der Verwaltung auf Anfragen und Angriffe hier bindet Ressourcen der Verwaltung. Zur politischen Unkultur gehört auch die Zunahme von Angriffen aus Fake-Accounts und unter falschen Namen. Gründe genug, sich über ein paar gängige Fragestellungen Gedanken zu machen.
I. Zusammenfassung:
Bürgerplattformen erleichtern den Meinungsaustausch und können so einen konstruktiven Beitrag zum demokratischen Diskurs leisten. Nicht selten wird der Austausch von Argumenten aber – wie überall im Netz – durch sog. „trolling“ erschwert. Dabei nehmen Nutzer (im Netzjargon bezeichnet als „Trolle“) an Online-Diskussionen mit dem Ziel teil, zu stören oder zu provozieren. Meist geschieht dies unter Nutzung von Fake-Accounts. Die Gemeinde fragt sich dann, ob sie vom Plattformbetreiber Auskunft darüber verlangen kann, wer hinter diesem Fake-Profil steckt und wie sie eine missbräuchliche Nutzung unterbinden kann. Im Ergebnis sind die Hürden eines solchen Auskunftsanspruchs gegenüber dem Netzbetreiber erheblich:
- So besteht ein Ankunftsanspruch nur bei strafbaren Inhalten.
- Er muss erst durch das Landgericht angeordnet werden.
- Zudem beschränkt sich der Anspruch inhaltlich auf die vom Nutzer selbst mitgeteilten Daten.
- Anderweitige Auskünfte des Anbieters verstoßen gegen Datenschutzrecht.
- Die Drohung mit einem Auskunftsanspruch erscheint damit als stumpfes Schwert. Im Regelfall bleibt der Gemeinde daher (nur) ein Appell an Anstandsregeln – und die Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte des Mediums und der Community.
- Immerhin: Hat der Plattformanbieter Verhaltensregeln aufgestellt, kann er Nutzer ausschließen, wenn sie gegen die Netiquette verstoßen.
- Hierauf kann auch die Gemeinde hinwirken, indem sie den Plattformbetreiber auf entsprechende Verstöße aufmerksam macht.
- Und sie kann den Plattformanbieter ermuntern, etwa noch fehlende Verhaltensregeln nachzuholen – erst recht, wenn sie, wie oft, mit ihm kooperiert.
II. Rechtlicher Hintergrund:
1. Ein Auskunftsanspruch besteht nur bei (bestimmten) rechtswidrigen Inhalten. Rechtsgrundlage eines solchen Anspruchs ist § 21 Abs. 2 TTDSG:
Gesetz über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz – TTDSG),
§ 21 Bestandsdaten
(1) Auf Anordnung der zuständigen Stellen dürfen Anbieter von Telemedien im Einzelfall Auskunft über Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist.
(2) Der Anbieter von Telemedien darf darüber hinaus im Einzelfall Auskunft über bei ihm vorhandene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte, die von § 10a Absatz 1 des Telemediengesetzes oder § 1 Absatz 3 des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes erfasst werden, erforderlich ist. In diesem Umfang ist er gegenüber dem Verletzten zur Auskunft verpflichtet.
(3) Für die Erteilung der Auskunft nach Absatz 2 ist eine vorherige gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung erforderlich, die vom Verletzten zu beantragen ist. Das Gericht entscheidet zugleich über die Verpflichtung zur Auskunftserteilung, sofern der Antrag nicht ausdrücklich auf die Anordnung der Zulässigkeit der Auskunftserteilung beschränkt ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht ohne Rücksicht auf den Streitwert zuständig. Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Verletzte seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft.
(4) Der Anbieter von Telemedien ist als Beteiligter zu dem Verfahren nach Absatz 3 hinzuzuziehen. Er darf den Nutzer über die Einleitung des Verfahrens unterrichten.
Danach sind Anbieter verpflichtet, im Einzelfall Auskunft zu erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absoluter Rechte erforderlich ist. Das ist recht restriktiv.
Ein Anspruch besteht danach nur,
- soweit es sich um rechtswidrige Inhalte handelt,
- die – als zusätzlich einschränkendes Kriterium von – hier relevant – § 1 Abs. 3 NetzDG erfasst werden.
Dieser verweist dann auf bestimmte Tatbestände des StGB (bspw. die Tatbestände der Beleidigung und Verleumdung). Unterhalb dieser Schwelle besteht kein Anspruch auf Auskunft – der Datenschutz geht vor.
2. Die Auskunft erstreckt sich zudem (nur) auf Bestandsdaten, nicht auf Nutzungsdaten.
Zu den Bestandsdaten zählen all jene Daten, die der Nutzer bei Vertragsschluss oder im Laufe der Nutzungszeit selbst angibt. Das sind im Regelfall der Name des Nutzers, seine Mailadresse sowie ggf. Wohnadresse, Geburtsdatum und Telefonnummer.
Liegt dem Plattformbetreiber der Klarname des Nutzers vor, hat er diesen regelmäßig im Zuge des Vertragsschlusses erhalten. Er ist dann als Bestandsdatum vom Anspruch umfasst. Gerade bei den problematischen Fake-Accounts zu trolling-Zwecken wird dies aber regelmäßig nicht der Fall sein.
Liegt ein Klarname nicht vor, hilft nur die IP-Adresse. Diese zählt aber regelmäßig zu den Nutzungsdaten und ist damit nicht Gegenstand des Auskunftsanspruchs.
3. Als weitere Erschwerung muss die Auskunft erst gerichtlich (durch das LG) angeordnet werden. Das kann zwar schnell gehen – insbesondere im Rahmen einer einstweiligen Verfügung. Erfahrungsgemäß fassen die Gerichte den Anspruch dennoch erst einmal mit spitzen Fingern an.
Der Plattformbetreiber darf also nicht einfach von sich aus auf Anfrage Auskunft erteilen. Er verstößt sonst seinerseits gegen Datenschutzrecht, wozu die Gemeinde ihn nicht verleiten sollte, schon diesseits aller rechtlichen Überlegungen.
III. Folgerungen für die Praxis:
1. Ein (allgemeiner) Hinweis der Gemeinde auf der Plattform, dass ein solcher Auskunftsanspruch unter den genannten Bedingungen besteht, dürfte kaum weiterhelfen – außer eben, die Strafbarkeitsschwelle ist schon überschritten oder die Gemeinde müsste damit ernsthaft rechnen. Das dürfte in der Mehrzahl der Fälle gerade nicht gegeben sein.
2. Wahrscheinlicher ist, dass die Stänkerer die Grenzen kennen und „unterschwellig“, also unterhalb der Grenze zur Strafbarkeit weiteragi(ti)eren. Dann enthemmt ein Hinweis – innerhalb der genannten Grenzen – die User womöglich weiter.
3. Im Übrigen muss man sehen, dass unterhalb der Strafbarkeitsschwelle das Risiko des Missbrauchenden gering ist: Mehr als eine Bloßstellung ist nicht drin, und umgekehrt droht nach der Lebenserfahrung wohl auch die Retourkutsche, die Verwaltung sei einfach zu empfindlich oder habe gar etwas zu verbergen.
4. Jede Andeutung, auch ohne Auskunftsanspruch könne man vom Plattformbetreiber etwas erfahren (haben), spielt mit dem guten Ruf des Plattformbetreibers, indem unterstellt wird, dass er wissentlich Verstöße gegen das Datenschutzrecht in Kauf nimmt. Das kommt nicht ernsthaft in Betracht.
5. Grundsätzlich geht es um Meinungsfreiheit, und diese schützt auch Stänkerer, solange die Grenzen zu strafbaren Handlungen unterschritten bleiben.
6. Die allgemeine Aufforderung, sich nicht zu verstecken und sachlich zu bleiben, haben zudem oft schon andere ins Netz gestellt – ob die Gemeinde mit einer direkten Reaktion mehr Erfolg hätte, ist fraglich.
IV. Ausschluss durch den Plattformbetreiber als Alternative:
1. Im Einzelfall besteht im vertraglichen Verhältnis zwischen der Plattform und den Nutzern eine Klarnamenpflicht. Dann könnte die Plattform entsprechende Beiträge mit dieser Begründung löschen bzw. Nutzer ganz sperren. Betreiber sind gegenüber den Gemeinden oft kooperationswillig. Es ist aber schon umstritten, ob, wann und wie eine solche Klarnamenpflicht überhaupt zulässig ist.
2. Meist hat sich der Plattformbetreiber zudem selbst eine Netiquette gegeben, die respektvollen, sachlichen und freundlichen Umgang gewährleisten soll. Wer sich verletzt fühlt, kann sich beschweren.
3. Der Betreiber behält sich dabei das Recht vor, einen Nutzer – bspw. spätestens bei zweimaligem Verstoß – gegen diese Netiquette auszuschließen.
4. In einem solchen Fall besteht auch für die Gemeinde die Möglichkeit, den Betreiber auf entsprechende Verstöße hinzuweisen und Trolle somit von der Plattform zu vertreiben.
* Dr. Marlene Voigt war langjährige Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Medien- und Informationsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. (Prof. Dr. Boris P. Paal, M. Jur. (Oxford)) und ist promovierte Datenschutzrechtlerin.
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