28.09.2021

„Schlussanträge des Generalanwaltes beim EUGH: HOAI ist auch zwischen Privaten nicht anwendbar!“

Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 14.07.2021 – Rs. C-261/20

Sachverhalt

Der BGH hat dem EuGH mit Beschl. v. 14.05.2020 die Frage vorgelegt, ob die Mindestsätze der HOAI 2013 zwischen Privaten noch verbindlich sind. Eine richtlinienkonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen hat der BGH nicht für möglich erachtet. Hintergrund des Vorlagebeschlusses ist, dass der EuGH am 04.07.2019 im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) angenommen hatte, weil die HOAI verbindliche Mindesthonorare für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hatte. Für diese Mindestsatzhonorare ergebe sich keine Rechtfertigung aus Art. 15 Abs. 1, 2 g und 3 der Dienstleistungsrichtlinie, da die angestrebten Ziele (Qualität der Arbeiten, Verbraucherschutz, Bausicherheit, Erhaltung der Baukultur, ökologisches Bauen usw.) in inkohärenter und unsystematischer Weise verfolgt werden. Die obergerichtliche Rechtsprechung war gespalten, ob die Mindestsätze zumindest noch zwischen Privaten gelten.

Entscheidung

Der Generalanwalt macht dem EuGH in seinen Schlussanträgen folgende Empfehlung für dessen Entscheidung: Die HOAI 2013 mit ihren Mindestsätzen dürfe auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten von nationalen Gerichten nicht mehr angewendet werden. Zwar gelten Richtlinien zwischen Privaten nicht unmittelbar horizontal. Hiervon gäbe es aber Ausnahmen, wenn z.B. das nationale Recht richtlinienkonform ausgelegt werden kann (und muss) oder, falls dies nicht möglich ist, die Richtlinie zur Wahrung eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts einschließlich der eines in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union konkretisierten Grundsatzes diene. Die Dienstleistungsrichtlinie diene zur Konkretisierung der Grundfreiheiten des Binnenmarkts, u. a. der Niederlassungsfreiheit in Art. 49 AEUV. Mit der Dienstleistungsrichtlinie habe der Unionsgesetzgeber die Niederlassungsfreiheit in Bezug auf Dienstleistungen umfassend regeln und auf innerstaatliche Sachverhalte ausdehnen wollen. Um eine unterschiedliche Bewertung zu vermeiden, ob die sekundärrechtliche oder die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit betroffen sei, dürften auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten die Mindestsätze nicht angewendet werden. Diese unmittelbare Wirkung rechtfertige sich auch aus Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Ein gesetzlicher Mindestpreis greife unzulässig in die dort verbürgte Vertragsfreiheit ein. Den Parteien des Ausgangsrechtsstreits werde nämlich das Recht genommen, den Preis für die Dienstleistung frei zu vereinbaren.

Fazit

Erfahrungsgemäß folgt der EUGH den Schlussanträgen des Generalanwaltes. Insbesondere aufgrund der bisherigen Entscheidungen des EUGH zur HOAI müssen die Praktiker damit rechnen, dass der EUGH der Begründung des Generalanwalts folgen wird.

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie

Zu prüfende Anforderungen

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnungen die in Absatz 2 aufgeführten Anforderungen vorsehen, und stellen sicher, dass diese Anforderungen die Bedingungen des Absatzes 3 erfüllen. Die Mitgliedstaaten ändern ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um sie diesen Bedingungen anzupassen

(2) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von folgenden nicht diskriminierenden Anforderungen abhängig macht:

(…)

g) der Beachtung von festgesetzten Mindest- und/oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer;

(3) Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a) Nicht-Diskriminierung: die Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b) Erforderlichkeit: die Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c) Verhältnismäßigkeit: die Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.

Beitrag von Rechtsanwalt
Thomas Schmidt LL.M.

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