12.07.2022

„Kein Abzug „neu für alt“ bei Schadensersatz statt der Leistung im Kaufgewährleistungsrecht“

Beitrag von Rechtsanwältin Marie-Lea Andert

BGH, Urteil vom 13.05.2022 – V ZR 231/20, juris

Sachverhalt und Entscheidungsgrundlage:

Die Kläger kauften im Jahr 2010 ein Grundstück, welches im Jahr 1979 mit einem Reihenhaus bebaut worden war. Im Kaufvertrag wurde ein Haftungsausschluss für Sachmängel vereinbart. Die Verkäufer offenbarten den Käufern nicht, dass sie bereits 8 Jahre vor Kaufvertragsschluss Schwarzschimmel im Keller festgestellt hatten und ein Gerichtssachverständiger zu dem Ergebnis gekommen war, dass der Keller mangelhaft gegen Feuchtigkeit abgedichtet war.

Im Jahr 2013 entdeckten die Käufer erstmalig Feuchtigkeit im Keller. Gestützt auf die Behauptung, die Verkäufer hätten die mangelhafte Abdichtung und den Feuchtigkeitsschaden arglistig verschwiegen, verlangten die Käufer von den Verkäufern die Kosten für die Herstellung einer neuen Kellerabdichtung. Die hierfür erforderlichen Arbeiten wurden noch nicht ausgeführt.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Düsseldorf sprachen den Käufern nur einen Bruchteil der eingeklagten Kosten zu. Zwar könnten sich die Verkäufer wegen arglistigen Verschweigens nicht auf den vereinbarten Haftungsausschluss berufen, jedoch sei mit Verweis auf eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dem bis 31.12.2001 geltenden Kaufgewährleistungsrecht von den geltend gemachten Abdichtungskosten ein erheblicher Abzug „neu für alt“ vorzunehmen:
Bei erstmaliger Geltendmachung der Abdichtungskosten im Jahr 2013 habe die bei Errichtung des Gebäudes im Jahr 1979 angebrachte Kellerabdichtung unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Lebensdauer von 40 Jahren noch einen Restwert von 15% gehabt. Sie hätte im Jahr 2019 ohnehin erneuert werden müssen. Von den Gesamtkosten der Kellerabdichtung seien daher nur 15% erstattungsfähig.

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des OLG Düsseldorf auf und sprach den Klägern die Kosten für die neue Kellerabdichtung in voller Höhe zu.

Entscheidung:

Der BGH bestätigte zunächst, dass die Verkäufer den Abdichtungsmangel arglistig verschwiegen hatten und sich deshalb nicht auf den vertraglich vereinbarten Haftungsausschlusses gemäß § 444 BGB berufen können. Des Weiteren können Käufer Schadensersatz für sog. „fiktive Mängelbeseitigungskosten“ geltend machen; es ist also nicht erforderlich tatsächlich Aufwendungen zu tätigen.

Zu Unrecht sei aber das OLG Düsseldorf von einem Abzug „neu für alt“ ausgegangen:
Die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof zu dem bis 31.12.2001 geltenden Kaufgewährleistungsrecht (§ 463 Satz 2 BGB a. F.) zum Abzug „neu für alt“ entwickelt hatte, seien auf das ab 01.01.2002 geltende Kaufgewährleistungsrecht nicht mehr übertragbar. Denn ab dem 01.01.2002 gehört die Mangelfreiheit der Kaufsache zur Leistungspflicht des Verkäufers. Der Primäranspruch des Käufers auf die Lieferung einer mangelfreien Sache setze sich in modifizierter Form in dem Nacherfüllungsanspruch fort, an dessen Stelle der Schadensersatzanspruch statt der Leistung trete. Der Umfang des Schadensersatzanspruches statt der Leistung müsse sich daher nach dem Nacherfüllungsanspruch richten. Anderenfalls bestünde für den Verkäufer ein Anreiz, keine Nacherfüllung zu leisten, um dann einen für ihn vorteilhaften Abzug „neu für alt“ vornehmen zu können, wenn der Käufer Schadensersatz statt der Leistung verlange.

Der Bundesgerichtshof prüfte daher mit Verweis auf eine in der Literatur bislang ungeklärte Streitfrage, ob eine Kostenbeteiligung des Käufers nach den Grundsätzen „neu für alt“ im Rahmen der Nachbesserung in Frage kommt. Eine solche scheide jedenfalls dann aus, wenn die Kaufsache durch Austausch eines mangelhaften Teils durch ein neues Teil einen Wertzuwachs erfahre oder wenn der Käufer durch die längere Lebensdauer des ersetzten Teils Aufwendungen erspare. Der Gesetzgeber habe gemäß § 439 BGB keinen Ausgleich für den Verkäufer im Rahmen der Erfüllung seiner vertraglichen Nachbesserungspflicht vorgesehen. Gemäß § 439 Abs. 6 BGB müsse der Käufer nur die gezogenen Nutzungen herausgeben, während der Verkäufer gemäß § 439 Abs. 2 BGB alle zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen zu tragen habe. Handele es sich bei dem Kaufgegenstand um eine gebrauchte Sache und sei ein gebrauchtes, funktionsfähiges Ersatzteil nicht zu beschaffen, sei eine Werterhöhung sowie die Ersparung von Aufwendungen eine unvermeidliche Folge der Nachbesserung. Für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung in Höhe der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten gelte das Gleiche.

Die Käufer müssen sich im Ergebnis den Vorteil der längeren Lebensdauer einer neuen Kellerabdichtung und den Vorteil der hierdurch ersparten Aufwendungen nicht anrechnen lassen und haben einen Anspruch auf Zahlung der vollen, fiktiven Mängelbeseitigungskosten.

Fazit und Ausblick:

Der Bundesgerichtshof ist mit seiner Entscheidung von seiner Rechtsprechung zur alten Gesetzeslage abgerückt und weitet dadurch den Käuferschutz aus.

Unter Anwendung der Grundsätze zu den Kosten der Nachbesserung ist künftig auch bei Schadensersatzansprüchen statt der Leistung im Kaufgewährleistungsrecht ein Abzug „neu für alt“ nicht mehr möglich, wenn sich der Vorteil des Käufers darin erschöpft, dass die Kaufsache durch das Ersatzteil einen Wertzuwachs erfährt oder der Käufer durch das Ersatzteil Aufwendungen erspart.
Dies gelte selbst bei einem Kaufvertrag über eine gebrauchte Sache, sofern kein gebrauchtes, funktionsfähiges Ersatzteil zu beschaffen sei.

Maßgebliche Vorschriften:

§ 433 BGB
(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. (…)

§ 437 BGB
Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,
1. nach § 439 Nacherfüllung verlangen,
2. nach den §§ 440, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 441 den Kaufpreis mindern und
3. nach den §§ 440, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

§ 439 BGB
(1) Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.
(2) Der Verkäufer hat die zum Zweck der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. (…)
(6) Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346 bis 348 verlangen. Der Verkäufer hat die ersetzte Sache auf seine Kosten zurückzunehmen.

§ 444 BGB
Auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, kann sich der Verkäufer nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat.

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