11.09.2024

Der Bau-Turbo soll kommen, § 246e BauGB-E

ein Beitrag von Dr. Peter Neusüß

Mit dem sogenannten „Bau-Turbo“ sollen großflächige Bauvorhaben insbesondere im Außenbereich ohne Bebauungsplan zulässig werden, § 246e BauGB-E. Viele Prüfungen, die sonst im Bebauungsplan erfolgen, sind dann aber auf Genehmigungsebene durchzuführen – in den straffen Fristen der LBO.

Wortlaut

§ 246e BauGB-E lässt nun alle Einschränkungen für den Geschosswohnungsbau fallen. Er soll lauten:

„In einem Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt, das nach § 201a bestimmt ist, kann bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 mit Zustimmung der Gemeinde von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden, wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:

1. der Errichtung eines Wohnzwecken dienenden Gebäudes mit mindestens sechs Wohnungen,

2. der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes, wenn hierdurch neue Wohnungen geschaffen oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird, oder

3. der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage für Wohnzwecke, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung.

Im Außenbereich findet Satz 1 nur auf Vorhaben Anwendung, die im räumlichen Zusammenhang mit Flächen stehen, die nach § 30 Absatz 1 oder § 34 zu beurteilen sind. § 18 Absatz 2 bis 4 des Bundesnaturschutzgesetzes ist anzuwenden. Bei Vorhaben nach den Nummern 18.7 und 18.8 der Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung bleibt die Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls unberührt. Die Befristung nach Satz 1 bezieht sich nicht auf die Geltungsdauer einer Genehmigung, sondern auf den Zeitraum, bis zu dessen Ende im bauaufsichtlichen Verfahren von der Vorschrift Gebrauch gemacht werden kann. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.“

Anwendungsbereich

Diese Sonderregel wird vor allem für Vorhaben im Außenbereich Anwendung finden und, wenn ein Wohngebäude nach der Art der Nutzung oder aufgrund einer Sanierungssatzung/Milieuschutzsatzung etc. unzulässig wäre.

Die Regelung ist anwendbar auf

  • Neubauvorhaben mit mindestens 6 Wohneinheiten je Gebäude;
  • die Erweiterung, Änderung oder Erneuerung von Wohngebäuden, soweit dadurch neuer Wohnraum geschaffen oder wieder nutzbar gemacht werden kann, etwa die Aufstockung eines Gebäudes im Außenbereich;
  • die Nutzungsänderung von Gebäuden in Wohngebäude, etwa die Umnutzung einer Industriebrache in ein Wohngebäude.

Das Vorhaben muss im Innenbereich oder im räumlichen Zusammenhang mit dem Innenbereich stehen. Damit sind die Grenzen deutlich weiter als früher bei § 13b BauGB oder auch bei § 249 Abs. 9 BauGB. Diese Erweiterung erfolgt nach der Gesetzesbegründung bewusst. Das Vorhaben muss sich nicht dem Siedlungsbereich anschließen. Die Grenze soll bei einer Entfernung von 100m liegen.

Auch großflächig?

Sie ist begrenzt auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt. Sie ist nicht auf kleine Vorhaben beschränkt, wie der Verweis auf Nr. 18.7 und 18.8 der Anlage 1 zum UVPG zeigt (UVP-Pflicht ab 100.000 m² Grundfläche, sonst Vorprüfungspflicht).

Öffentliche Belange und Fachrecht

Das Vorhaben muss mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Da sonst keine Regelungen des Bauplanungsrechts mehr greifen, muss die Genehmigungsbehörde hier alle städtebaulichen Belange prüfen. Damit verlagert sich die Abwägungsentscheidung aus dem sonst erforderlichen Bebauungsplan- in das Genehmigungsverfahren. Die Belange werden aber trotzdem zu ermitteln und zu berücksichtigen sein. Das Fachrecht bleibt im Übrigen unberührt, die Probleme des Artenschutzes und Lärmschutzes bleiben also erhalten, auch die Eingriffs-Ausgleichs-Regel gilt. Im Grunde handelt es sich um einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan im Gewandt der Genehmigung. Das beschränkt die Rechtsschutzmöglichkeiten: Neben Umweltverbänden können nur noch Nachbarn klagen, die durch die Genehmigung in eigenen Rechten verletzt sind. Das deutlich offenere Normenkontrollverfahren scheidet – mangels Norm – aus.

Zustimmung

Weiterhin muss die Gemeinde zustimmen. Hierfür gilt das im Beitrag zu § 31 Abs. 3 BauGB-E Gesagte entsprechend. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Zustimmung.

Rechtsfolge

Rechtsfolge ist, dass von sämtlichen Vorgaben des Baugesetzbuches oder von aufgrund des Baugesetzbuches erlassenen Vorschriften (Bebauungsplan, Sanierungssatzung, Milieuschutzsatzung etc.) im erforderlichen Umfang abgewichen werden kann. Das Fachrecht bleibt unberührt, siehe oben.

Im Ergebnis erhalten die Kommunen damit ein Instrument, ganz ohne Planverfahren auch große Vorhaben planungsrechtlich zu ermöglichen. Schon der Gesetzgeber rät dabei dazu, eine informelle Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen und mit einem Bebauungsplan nachzusteuern. Verpflichtend ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung nur, wenn eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass so ein Bebauungszusammenhang und damit noch weiteres Baurecht nach § 34 BauGB entstehen kann; das kann die Gemeinde dann nur noch durch die Aufstellung eines Bebauungsplans steuern/verhindern.

Fazit

Insgesamt enthält die BauGB-Novelle also, zusammen mit den Änderungen zu § 31 Abs. 3 und § 34 Abs. 3a BauGB, einige große praxisbedeutsame Schritte, wenn denn jemand endlich wieder bauen will und die Genehmigungsbehörde keine allzu hohen Maßstäbe an die Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen stellt.

Mit den vielen Verfahrens-Neuerungen – und auch dogmatischen Brüchen – kommt viel Arbeit auf die Baurechtskommentatoren, aber auch Baurechtsbehörden und Gemeinden und ihre Berater und wohl auch wieder auf die Gerichte zu.

Es bleibt zu hoffen, dass der bekannt angespannte Wohnungsmarkt damit endlich etwas Entlastung erfährt. Keine der angesprochenen Regelungen ändert aber etwas an den anhaltend hohen materiell-rechtlichen Hürden in Lärm-, Wasser- oder Naturschutzrecht – was im Europarechtskontext national auch kaum gelingen kann.


Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Neusüß

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