11.09.2024

Bebauungsplanänderung durch Befreiung? § 31 Abs. 3 BauGB-E

ein Beitrag von Dr. Peter Neusüß

Der Entwurf zur BauGB-Novelle sieht weitergehende Befreiungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau im beplanten Innenbereich vor. Faktisch soll eine Möglichkeit der Änderung eines Bebauungsplans durch Befreiung geschaffen werden.

Wortlaut

§ 31 Abs. 3 BauGB-E soll lauten:

„(3) Mit Zustimmung der Gemeinde kann im Einzelfall von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Von dem Einzelfallerfordernis nach Satz 1 kann abgesehen werden, wenn entsprechende Befreiungen voraussichtlich auch in vergleichbaren Fällen erteilt werden sollen und wenn die Befreiung

  1. der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gebäudes, insbesondere seiner Aufstockung, dient oder
  2. der Errichtung eines Gebäudes dient, das nach Art der baulichen Nutzung nach dem Bebauungsplan zulässig wäre.

Die Gemeinde hat den Inhalt der jeweils ersten nach Satz 2 erteilten Befreiung ergänzend zum Bebauungsplan entsprechend § 10a Absatz 1 Satz 1 zu veröffentlichen und entsprechend § 10a Absatz 2 Satz 1 zugänglich zu machen. Für die Zustimmung der Gemeinde nach Satz 1 gilt § 36 Absatz 2 Satz 2 entsprechend.“

Bereits nach der geltenden Fassung kann befreit werden, wenn Grundzüge der Planung berührt sind. Voraussetzung ist, dass die Gemeinde zustimmt. Die Zustimmung kann von der Baurechtsbehörde nicht ersetzt werden, einen Anspruch auf Zustimmung dürfte der Bauherr nach bisherigem Recht nicht haben. Entscheidet die Gemeinde nicht fristgemäß, gilt allerdings die Fiktion des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB.

Geltungsbereich erweitert

Neu ist, dass § 31 Abs. 3 BauGB überall gilt, also nicht mehr nur in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt.

Einzelfallerfordernis entfällt

Neu ist zudem, dass unter bestimmten Voraussetzungen vom Einzelfallerfordernis abgewichen werden kann. Dies ist sinnvoll, da die Rechtsprechung den Einzelfall auf atypische Sonderfälle beschränkt hat (BVerwG, Urteil vom 24. April 2024 – 4 C 2.23, Rn. 27). Nun muss die Gemeinde allerdings sämtliche gleichgelagerten Fälle mitentscheiden, denn Voraussetzung der Befreiung ist, dass „entsprechende Befreiungen voraussichtlich auch in vergleichbaren Fällen erteilt werden“. Will eine Gemeinde beispielsweise eine Aufstockung eines Gebäudes zulassen, die die festgesetzte Höhe um 3m überschreitet, muss sie gleichzeitig entscheiden, dass im gesamten Gebiet, für das die Festsetzung gilt, ebenfalls befreit werden soll. Faktisch wird damit der Bebauungsplan geändert, die Höhenfestsetzung um 3m erhöht. Dies spiegelt sich auch im letzten Satz wider, nach der die Befreiung bekannt gemacht werden muss. In einem Bebauungsplan hätte die Gemeinde die Festsetzung auch nur für das Bauvorhaben ändern können. Bei der Befreiung im Einzelfall muss sie aber zwingend das gesamte Gebiet mit gleichgelagerten Fällen in den Blick nehmen. Dies kann sich in der Praxis als Hemmnis erweisen (vgl. dazu auch schon die DAV-Stellungnahme SN 56/24).

Wird eine Befreiung erteilt, werden sich Eigentümer in gleichgelagerten Fällen auf die bereits erteilte Befreiung berufen können, denn die Anforderung, dass künftig in gleich gelagerten Fällen eine Befreiung erteilt werden soll, soll wohl die Eigentümer im Gebiet schützen, sie dürfte daher drittschützend sein. Dies gilt freilich nicht für bisher erteilte Befreiungen. Eine Abweichung von einer einmal für gleichgelagerte Fälle erteilten Befreiung dürfte nur noch in atypischen Fällen („soll“) oder nach einer Planänderung möglich sein.

Umweltverträglichkeitsprüfung?

Weiterhin muss die Befreiung mit öffentlichen Belangen vereinbar sein. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs ist dabei zu prüfen, ob die Befreiung die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erfordert; falls ja, ist eine Befreiung unzulässig. Solange der Schwellenwert von 20.000 Quadratmeter Grundfläche (§ 13a BauGB) nicht erreicht wird, seien die öffentlichen Belange gewahrt. Entsprechend den Grundsätzen zu § 13a BauGB bezieht sich diese Maßgabe auf die zusätzliche Grundfläche (so Brügelmann/Gierke/Scharmer, 130. EL April 2024, BauGB § 13a Rn. 65, beck-online; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Krautzberger/Kerkmann, 153. EL Januar 2024, BauGB § 13a Rn. 45, beck-online, solange die Art der Nutzung nicht geändert wird). Bei Aufstockungen ergibt sich aus dieser Vorgabe daher keine Begrenzung, bei der Ermöglichung einer Hinterlandbebauung dürfte der Schwellenwert selten überschritten sein.

Faktische Bebauungsplanänderung

Auch diese Problematik zeigt, dass die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 3 Satz 2 BauGB-E faktisch eine Bebauungsplanänderung durch Verwaltungsakt darstellt. Dogmatisch wäre daher eine Regelung in einem § 13c BauGB vorzugswürdig gewesen (Änderung des Bebauungsplans durch einfache Satzung ohne weitere Verfahrensanforderungen).

Zuständig für die Zustimmungsentscheidungen jedenfalls nach § 31 Abs. 3 Satz 2 BauGB-E dürfte der Gemeinderat oder – soweit übertragen – ein Ausschuss sein, da die Zustimmungsentscheidung einer Bebauungsplanänderung gleichkommt.


Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Neusüß

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