BGH, Urteil vom 19.09.2024 – VII ZR 10/24
ein Beitrag von Julian Roser, LL.M.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Entscheidung vom 19.09.2024 mit den Anforderungen an eine Anordnung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B für einen Mehrvergütungsanspruch befasst.
Sachverhalt:
Der Beklagte (Auftraggeber) beauftragte die Klägerin (Auftragnehmerin) im Juni 2018 nach öffentlicher Ausschreibung und unter Einbeziehung der VOB/B (2016) mit der Ausführung von Starkstromanlagen an einem Bauvorhaben. Als Fertigstellungszeitpunkt wurde der 10.01.2019 vereinbart. Aufgrund fehlender Ausführungsplanung meldete die Klägerin bereits im Juli 2018 erste Behinderungen, erhielt jedoch erst im August 2018 die relevanten Pläne und begann anschließend in Teilbereichen mit den Arbeiten. Ein von der Beklagten im Januar 2019 übersandter, korrigierter Bauablaufplan verschob den Fertigstellungszeitpunkt auf Oktober 2019. Daraufhin meldete die Klägerin bis Juni 2019 weitere Behinderungen an und erbrachte zusätzliche Leistungen. Nach der Abnahme im November 2019 stellte sie Mehrkosten in Höhe von 56.729,59 EUR in Rechnung, die unter anderem auf verlängerte Bauzeiten und gestiegene Tariflöhne zurückzuführen seien. Der Beklagte verweigerte jedoch die Zahlung.
Entscheidung:
Für einen Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B ist eine Anordnung des Auftraggebers erforderlich. Der BGH hat entschieden, dass eine solche rechtsgeschäftliche Erklärung jedoch nicht durch die bloße Übermittlung eines neuen Bauablaufplans erfolgt. Störungen des Vertrags, die zu Bauzeitverzögerungen führen, sind nach der Systematik der VOB/B von Anordnungen im Sinne dieser Vorschrift abzugrenzen.
Ob eine Erklärung oder ein Verhalten des Auftraggebers als Anordnung zu werten ist, richtet sich nach den §§ 133 und 157 BGB, also der Auslegung aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers.
Ohne dass es im konkreten Fall darauf ankam, hat der BGH im Kontext der Anordnungen gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B ausgeführt: Die Mitteilung des Auftraggebers an seine Auftragnehmer, dass eine Behinderung vorliege, die faktisch zu einer Bauzeitverzögerung führe und die Leistungen derzeit nicht erbracht werden können, noch keine Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B sei. Allein eine solche Mitteilung stelle aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers gemäß §§ 133, 157 BGB keine rechtsgeschäftliche, auf einseitige Änderung der Vertragspflichten gerichtete Erklärung des Auftraggebers dar. Auch die Übergabe angepasster Bauzeitenpläne stelle keine Anordnung dar, sondern eine Reaktion des Auftraggebers auf die Störung, die lediglich behinderungsbedingte Verzögerungen dokumentiert. Damit erfülle der Auftraggeber nur seine Koordinierungspflichten gemäß § 4 Abs. 1 VOB/B, ohne eine Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 5 VOB/B zu erteilen.
Der BGH hat weiter entschieden, dass der Klägerin kein Schadensersatzanspruch gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 VOB/B zustand. Der Vorunternehmer ist im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer nicht als Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers/Beklagten anzusehen, weshalb sich der Auftraggeber Verzögerungen des Vorunternehmers nicht zurechnen lassen muss.
Die Tatsache, dass die Klägerin aufgrund fehlender Vorunternehmerleistungen nicht arbeiten konnte, stellt keine Pflichtverletzung des Beklagten dar. Der Auftraggeber ist nicht verpflichtet, Baufreiheit oder die Leistung des Vorunternehmers sicherzustellen. Selbst wenn die fehlende Leistung des Vorunternehmers darauf beruht, dass der Auftraggeber die Ausführungspläne nicht rechtzeitig bereitgestellt hat, handelt es sich lediglich um eine Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten und nicht um eine Pflichtverletzung.
In solchen Konstellationen können dem Auftragnehmer nur Ansprüche auf eine angemessene Entschädigung gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 VOB/B i.V.m. § 642 BGB zustehen; vorliegend fehlte es jedoch an einem hinreichenden Vortrag der Klägerin zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 642 BGB. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn die rechtzeitige Zurverfügungstellung von Vorleistungen anderer Auftragnehmer im Bauvertrag als Vertragspflicht des Beklagten ausgestaltet gewesen wäre.
Praxishinweis:
Zukünftig empfiehlt es sich, Bauverträge dahingehend zu überprüfen und anzupassen, dass klare Regelungen zu den Folgen von Bauzeitverzögerungen und der Übermittlung geänderter Bauablaufpläne enthalten sind. Es sollte konkret geregelt werden, unter welchen Umständen und in welchem Umfang der Auftragnehmer einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung oder eine Verlängerung der Bauzeit hat. Zudem ist es ratsam, den Prozess der Kommunikation und Dokumentation von Bauzeitänderungen vertraglich zu regeln, um Missverständnisse zu vermeiden und Rechtsklarheit zu schaffen. Für die Auftragnehmerin wäre es vorteilhaft gewesen, wenn die rechtzeitige Zurverfügungstellung von Vorleistungen anderer Auftragnehmer im Bauvertrag als Vertragspflicht des Auftraggebers ausgestaltet gewesen wäre.
Maßgebliche Vorschriften:
§ 2 VOB/B
[…]
(5) Werden durch Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers die Grundlagen des Preises für eine im Vertrag vorgesehene Leistung geändert, so ist ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. 2Die Vereinbarung soll vor der Ausführung getroffen werden.
[…]
§ 6 VOB/B
[…]
(2) 1. Ausführungsfristen werden verlängert, soweit die Behinderung verursacht ist:
a) durch einen Umstand aus dem Risikobereich des Auftraggebers,
b) durch Streik oder eine von der Berufsvertretung der Arbeitgeber angeordnete Aussperrung im Betrieb des Auftragnehmers oder in einem unmittelbar für ihn arbeitenden Betrieb,
c) durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände.
2. Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit, mit denen bei Abgabe des Angebots normalerweise gerechnet werden musste, gelten nicht als Behinderung.
[…]
(6) Sind die hindernden Umstände von einem Vertragsteil zu vertreten, so hat der andere Teil Anspruch auf Ersatz des nachweislich entstandenen Schadens, des entgangenen Gewinns aber nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Im Übrigen bleibt der Anspruch des Auftragnehmers auf angemessene Entschädigung nach § 642 BGB unberührt, sofern die Anzeige nach Absatz 1 Satz 1 erfolgt oder wenn Offenkundigkeit nach Absatz 1 Satz 2 gegeben ist.
[…]

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Julian Roser, LL.M.
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