28.02.2024

Antragsbefugnis von Nachbargemeinden gegen Einkaufszentren

VGH Mannheim, Beschluss vom 07.11.2023 – 5 S 1164/23

Nachbargemeinden sind – auch ohne Einzelfallprüfung – in ihren Rechten verletzt, wenn in einem im Gewerbegebiet einer anderen Gemeinde ein Einkaufszentrum genehmigt wird.

Sachverhalt

Gegenstand der Entscheidung war eine Baugenehmigung für ein Einkaufszentrum im Gewerbegebiet. Hiergegen richtete sich die Nachbargemeinde mit der Begründung, ihre raumordnerische Funktion und ihre zentralen Versorgungsbereiche seien beeinträchtigt worden. Ein eingeholtes Verträglichkeitsgutachten stellte fest, dass die antragstellende Gemeinde durch die erteilte Baugenehmigung in ihren zentralen Versorgungsbereichen jedoch auch nicht beachtlich beeinträchtigt wird.

Entscheidungsgründe

Das Verwaltungsgericht gab der Gemeinde Recht. Es ordnete die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung an. Auf Beschwerde des Bauherrn bestätigte der VGH die Rechtsverletzung der Nachbargemeinde.

Zunächst hat der VGH offengelassen, ob das Rechtsinstitut der Verwirkung zwischen benachbarten Gemeinden gilt. Auch die Einordnung als Einkaufszentrum war unstreitig, sodass der VGH dieser – häufig doch sehr streitigen – Frage nicht mehr nachgehen musste. 

Kernstück war schließlich die Rechtsverletzung der Nachbargemeinde durch ein rechtswidrig im Gewerbegebiet genehmigtes Einkaufszentrum.  Ob das sogenannte „interkommunalen Abstimmungsgebot“ gemäß § 2 Abs. 2 BauGB, welches im Einzelfall auch für Einzelgenehmigungen Anwendung findet, durch die Zulassung des eigentlich unzulässigen Einkaufszentrums verletzt wurde, musste der VGH offenlassen, weil die Vorinstanz hierauf nicht entscheidungserheblich abgestellt hat und daher auch die streitgegenständliche Beschwerde hierauf nicht Bezug nahm.

Der Senat bejahte aber einen Verstoß gegen § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauNVO, wonach großflächige Handels- und Einkaufszentren in der Regel negative Auswirkungen haben, wenn die Geschossfläche 1200 m² überschreitet. Diese Norm schütze auch die Interessen der Nachbargemeinden, so dass hier ein nachbarschützendes Recht betroffen war. 

Nach der Wortlautauslegung beziehe sich die Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO, wann solche schädlichen Auswirkungen in der Regel vorliegen, ausschließlich auf S. 1 Nr. 2 und 3, nicht aber auf Einkaufszentren im Sinne von Nr. 1. Die negativen Auswirkungen von Einkaufszentren und die dadurch bewirkte Rechtsverletzung der Nachbargemeinde lassen sich also nie ausschließen. Eine Einzelfallprüfung erübrigte sich damit ebenso wie das eingeholte Sachverständigengutachten.

Fazit

Dass der Beschluss die Rechte der Nachbargemeinden erweitert, ist zu begrüßen: Wenn für ein Einkaufszentrum eine rechtswidrige Baugenehmigung erteilt wird, stehen die Chancen für die Nachbargemeinde gut, das Vorhaben zu verhindern. Für die beigeladene Gemeinde gilt, dass Sorgfalt bereits in der Bauleitplanung und anschließend auch im Genehmigungsverfahren das oberste Gebot sein sollte.

Maßgebliche Vorschriften

§ 11 BauNVO: Sonstige Sondergebiete

  • Als sonstige Sondergebiete sind solche Gebiete darzustellen und festzusetzen, die sich von den Baugebieten nach den §§ 2 bis 10 wesentlich unterscheiden.
  • Für sonstige Sondergebiete sind die Zweckbestimmung und die Art der Nutzung darzustellen und festzusetzen. Als sonstige Sondergebiete kommen insbesondere in Betracht (…)

Gebiete für Einkaufszentren und großflächige Handelsbetriebe

(…)

  •  

1. Einkaufszentren,

2. großflächige Einzelhandelsbetreibe, die sich nach Art, Lage oder Umfang auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken können,

3. sonstige großflächige Handelsbetriebe, die im Hinblick auf den Verkauf an letzte Verbraucher und auf die Auswirkungen den in Nummer 2 bezeichneten Einzelhandelsbetrieben vergleichbar sind,

sind außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig. Auswirkungen im Sinne des Satzes 1 Nr. 2 und 3 sind insbesondere schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie Auswirkungen auf die infrastrukturelle Ausstattung, auf den Verkehr, auf die Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich der in Satz 1 bezeichneten Betriebe, auf die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden, auf das Orts- und Landschaftsbild und auf den Naturhaushalt. Auswirkungen im Sinne des Satzes 2 sind bei Betrieben nach Satz 1 Nr. 2 und 3 in der Regel anzunehmen, wenn die Geschoßfläche 1200 m² überschreitet. Die Regel des Satzes 3 gilt nicht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1 200 m2 Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1 200 m2 Geschossfläche nicht vorliegen; dabei sind in Bezug auf die in Satz 2 bezeichneten Auswirkungen insbesondere die Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile, die Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und das Warenangebot des Betriebs zu berücksichtigen.

§ 2 BauGB: Aufstellung der Bauleitpläne

  • (…)
  • Die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden sind aufeinander abzustimmen. Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen.

Beitrag von Rechtsanwältin Shirin Gallinger

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