12.11.2025

Beispiel Solarzäune: Sind (fast) alle bestehenden Gestaltungssatzungen nach § 74 Abs. 1 S. 3 LBO nichtig?

Ein Beitrag von Rechtsantwalt Dr. Neusüß und Rechtsanwalt Prof. Dr. Sparwasser

Ministerium: Gestaltungssatzungen weitgehend unwirksam.

Im Zuge der LBO-Reform sollte die Nutzung erneuerbarer Energien auf und integriert in baulichen Anlagen erleichtert werden. Hierzu, so die Neuregelung der § 74 Abs. 1 S. 2 und 3, sind Anforderungen an die Gestaltung baulicher Anlagen nur zulässig, wenn sie „gleichzeitig die Nutzung erneuerbarer Energien zulassen“. – So weit – so bekannt.

Eine E-Mail aus dem Ministerium, weitergeleitet an alle Baurechtsbehörden und Gemeinden, sorgt nun für Furor: Nicht nur, dass nach der Neuregelung Solarzäune unbeschränkt zulässig sein sollen, auch wenn örtliche Bauvorschriften (nur) Vorgaben etwa zur Höhe oder zum Material von Einfriedungen machen. Vielmehr sollen solche Regelungen insgesamt unwirksam geworden sein. Sie wären dann auch auf andere Einfriedungen nicht mehr anwendbar, bis die Gemeinde ausdrücklich eine Ausnahme für Erneuerbare-Energien-Anlagen aufnimmt. Da fast jede Gestaltungsvorschrift Anlagen zur Nutzung erneuerbare Energien (potentiell) einschränkt, wäre die Folge, dass all diese Gestaltungssatzungen durch die LBO-Reform aufgehoben worden wären.

Entsprechendes gilt auch für alle anderen Gestaltungsvorgaben wie zu Fassaden oder Dächern, die der Sache nach erneuerbare Energien ausschließen oder beschränken.

Kann das stimmen? Dürfen Solarzäune jetzt in unbeschränkter Höhe gebaut werden?

Nach dem (reichlich verunglückten) Wortlaut der Vorschrift: weitgehend ja! Anforderungen an die Gestaltung nach § 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 LBO „sind nur zulässig, wenn sie gleichzeitig die Nutzung erneuerbarer Energien zulassen.“

  • Örtliche Bauvorschriften können aber anders als Bebauungspläne nichts zulassen, sondern nur etwas beschränken. Gemeint ist offenbar, dass die Nutzung erneuerbarer Energien von den Anforderungen auszunehmen ist.
  • Örtliche Bauvorschriften regeln auch nicht die Nutzung baulicher Anlagen, also auch nicht die Nutzung erneuerbarer Energien, sondern die Gestaltung baulicher Anlagen. Gemeint ist offenbar, dass Anforderungen an die Gestaltung baulicher Anlagen nicht dazu führen darf, dass diese „gleichzeitig“ zur Nutzung erneuerbarer Energien eingesetzt werden können.
  • Warum der Gesetzgeber hier das Wort „gleichzeitig“ bemüht, ist ebenfalls jedenfalls missverständlich. Soll die Ausnahme zur gleichen Zeit wie die Vorgabe erfolgen? Das erscheint abwegig. Gemeint ist wohl die selten genutzte Bedeutung von „gleichzeitig“ im Sinne von „auch noch, zeitgleich erfolgend“. Es geht also nicht um die Gestaltung von Anlagen, die ausschließlich der Nutzung erneuerbarer Energien dienen. Der Gesetzgeber hat vielmehr die Anlagen im Blick, die auch noch, also als Nebenzweck, erneuerbare Energien nutzen, also nicht die gleichzeitige Zulassung solcher Anlagen, sondern die gleichzeitige Nutzung der geregelten Anlagen auch für erneuerbare Energien.

Im Ergebnis spricht viel dafür, dass nach dem Wortlaut örtliche Bauvorschriften gerade Solarzäune, Solarfassaden oder die Nutzung von Dachflächen nicht mehr ausschließen können sollen. Keinesfalls zwingend ist aber, dass Vorgaben, die auch von solchen Anlagen erfüllbar sind, unzulässig sind. Darf eine Einfriedung 1,20 m hoch sein, so schränkt dies zwar auch Solarzäune ein. Die „gleichzeitige“ Nutzung eines Zauns mit 1,20 m Höhe zur Erzeugung erneuerbarer Energien ist aber nicht beschränkt: Es gibt auch Solarzäune mit diesen Maßen. Anders wäre es bspw. bei einer Vorgabe, die nur lebende Einfriedungen zulässt oder nur Einfriedungen in Weiß. Werden solche Regelungen in örtliche Bauvorschriften aufgenommen, müssen sie nach dem Wortlaut wohl eine Ausnahme für Solarzäune vorsehen.

Die Auslegung des Ministeriums, dass auch zwei Meter hohe Solarzäune zulässig bleiben müssen, ist dagegen nicht nachvollziehbar: Denn dann geht es nicht mehr um die „gleichzeitige“ Nutzung einer ansonsten zulässigen baulichen Anlage. Vielmehr würden jedwede Vorschriften, die – auch mittelbar oder nur geringfügig – die Nutzung erneuerbarer Energien einschränken, unzulässig. Es ginge dann nicht nur um die gleichzeitige Zulässigkeit, sondern um ein absolutes Verbot jeglicher Beschränkung. Konsequenterweise wäre dann also auch die Vorgabe eines Satteldachs unzulässig, wenn Solaranlagen auf Flachdächern erneuerbare Energien besser nutzen können. In dieser Auslegung wären dann tatsächlich fast alle Gestaltungssatzungen betroffen. Sie ist aber schon mit dem Wortlaut „gleichzeitig“ nicht vereinbar.

Gesamtunwirksamkeit – was gilt für andere Zäune?

Das Ministerium leitet die Gesamtunwirksamkeit von Regelungen ohne die nach Satz 2 erforderliche Ausnahme aus dem neuen Satz 3 des § 74 Abs. 1 LBO her: „Anforderungen in bereits bestehenden Satzungen, die dem Satz 2 widersprechende Anforderungen enthalten, werden unwirksam.“ Auch hier ist erst zu erforschen, was der Gesetzgeber sprachlich meint: Unwirksam werden können Regelungen oder Vorschriften. „Anforderungen“ enthaltende „Anforderungen“ sind zumindest schwer verständlich. Gemeint ist wohl schlicht: Dem Satz 2 widersprechende Regelungen werden unwirksam. Und zwar wohl nicht nur, „soweit“ sie dem Satz 2 widersprechen, sondern insgesamt. Das ergibt sich daraus, dass nicht nur die enthaltene Anforderung (also die fehlende Ausnahme für erneuerbare Energien), sondern die diese Anforderung enthaltende Anforderung, also offenbar die Gesamtregelung für unwirksam erklärt wird.

Gestützt wird diese Auslegung dadurch, dass diese in Satz 3 getroffene Regelung zu bereits bestehenden Satzungen erst später in Kraft trat, um den Kommunen Zeit zu geben, ihre örtlichen Bauvorschriften anzupassen.

Nach Wortlaut und Systematik spricht also viel dafür, dass alle örtlichen Bauvorschriften, die eine gleichzeitige Nutzung des betroffenen Bauteils zur Gewinnung von Strom (oder Wärme) aus erneuerbaren Energien ausschließen können, insgesamt unwirksam geworden sind.

Und was ist mit der verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit, Art. 28 Abs. 2 GG?

Richtig, die ist betroffen: Zumindest hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim entschieden, dass eine Gemeinde eine Baugenehmigung, die ihren örtlichen Bauvorschriften widerspricht, erfolgreich anfechten kann, da die örtlichen Bauvorschriften Ausdruck ihrer verfassungsrechtlich geschützten Planungshoheit sind. Dann liegt es nahe, dass der Gesetzgeber mit den Änderungen der Rechtsgrundlagen für den Erlass von örtlichen Bauvorschriften und der Einschränkung ihrer Regelungsmöglichkeiten in die Planungshoheit eingreift. Ein solcher Eingriff ist aber nur gerechtfertigt, wenn er verhältnismäßig ist.

An dieser Verhältnismäßigkeit bestehen – jedenfalls in der Auslegung des Ministeriums – erhebliche Zweifel: Zur Umsetzung des Regelungszwecks hätte es ausgereicht, dass örtliche Bauvorschriften auf Solarzäune und -fassaden unangewendet bleiben. Eine Gesamtunwirksamkeit auch für andere Zäune und Fassaden ist evident nicht erforderlich. Dagegen kann auch nicht angeführt werden, der Bauherr soll unmittelbar den örtlichen Bauvorschriften entnehmen können, dass Solarzäune zulässig bleiben. Denn sowohl eine Teil- als auch eine Gesamtunwirksamkeit ergibt sich erst aus dem Gesetz. Zudem ist es einem Bauherrn zumutbar, gesetzliche Regelungen zu kennen; jedenfalls wäre eine entsprechende Informationskampagne das mildere und ausreichende Mittel.

Die Regelung begegnet aber auch darüber hinaus erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln: Den Gemeinden steht bei der Ausübung ihrer Planungshoheit grundsätzlich ein erhebliches Planungsermessen zu. Nach der Rechtsprechung sind sie gehalten, eine umfassende Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange vorzunehmen. In dieses Geflecht greift der Gesetzgeber ein, indem er der Nutzung erneuerbarer Energien absoluten Vorrang einräumt. Dies widerspricht im Übrigen auch § 2 EEG, nach dem Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden, aber eben nicht im absoluten öffentlichen Interesse liegen. Da die gesetzliche Regelung einer Abwägung nicht zugänglich ist, sind Gestaltungsvorgaben selbst dann unzulässig, wenn die Nutzung erneuerbarer Energien eine völlig untergeordnete Rolle spielt, etwa bei nach Norden ausgerichteten, verschatteten Solarzäunen.

Hinzu kommt das auf der Hand liegende Missbrauchspotential: Eigentümer, die aus anderen Gründen hohe, massive Zäune bevorzugen, können diese nun aus Solar-Modulen realisieren – unabhängig von dem Beitrag, den sie dadurch zum Klimaschutz leisten; unabhängig davon, ob der Solarzaun überhaupt die für seine Herstellung benötigte Energie kompensiert, und unabhängig davon, wie gewichtig die (entgegenstehenden) Belange des Ortsbildes sind.

Eine dies berücksichtigende, verfassungskonforme Auslegung kommt wohl nur teilweise in Betracht: Nämlich insoweit, als nach der Gesetzesbegründung die örtlichen Bauvorschriften nur unwirksam werden sollen, „soweit“ sie den Vorgaben des Satz 2 widersprechen. Damit besteht ein Anhaltspunkt dafür, dass bestehende örtliche Bauvorschriften nur teilweise unwirksam werden, also für alle Anlagen ohne Nutzung erneuerbarer Energien anwendbar bleiben. Dies überschreitet die Grenze des Wortlauts wohl noch nicht.

Im Übrigen, also insbesondere im Hinblick auf eine verfassungskonforme Auslegung, die den Kommunen eine Abwägung der Belange des Ortsbildes und der Nutzung erneuerbaren Energien erlauben würde, steht der Wortlaut einer solchen Auslegung wohl entgegen. Danach müssen sie die gleichzeitige Nutzung erneuerbarer Energien zulassen, auch wenn die Gestaltungsabsichten erheblich überwiegen. Trotz der oben dargelegten Unklarheiten im Wortlaut ist den Kommunen das Recht genommen, ihr Planungsermessen dahingehend auszuüben, dass sie aus gestalterischen Gründen eine gleichzeitige Nutzung erneuerbaren Energien auch nur ausnahmsweise nicht zuzulassen. Dies hat der Gesetzgeber durch die Streichung des Wortes „grundsätzlich“ verdeutlicht. Weder Solarzäune noch Solarfassaden oder Wind- oder PV-Anlagen an oder in Dächern kann nach der Vorschrift durch Gestaltungssatzung ausschließen. Auch verfassungsrechtlich geboten ist hingegen die Auslegung, dass gestalterische Anforderungen zulässig sind, wenn eine Mitnutzung für erneuerbare Energien möglich bleibt, auch wenn sie beschränkt wird, etwa durch die Vorgabe einer maximalen Höhe von Einfriedungen.

Was ist mit Anforderungen an Fassaden, Dächer und andere Bauteile

Die Ausführungen gelten in gleicher Weise für Anforderungen an Gestaltungssatzungen an Fassaden oder Dächer: Nach Auffassung des Ministeriums sind diese ebenfalls weitgehend unwirksam. Denn jedenfalls beschränken sie die Nutzung der Bauteile für erneuerbare Energien, wenn beispielsweise Farbe oder Materialität vorgegeben wird. Auch sind nach Ministeriumsmeinung die entsprechenden örtlichen Bauvorschriften insgesamt unwirksam, d. h. auch für „normale“ Fassaden oder Dächer nicht anzuwenden. Nach hier vertretener Auffassung bleiben sie bei verfassungskonformer Auslegung jedenfalls insoweit anwendbar.

Was tun? Einziger Ausweg Verfassungsbeschwerde?

Solarzäune und Einfriedungen sind verfahrensfrei zulässig. Insofern besteht bei örtlichen Bauvorschriften ohnehin schon ein erhebliches Vollzugsdefizit. Die Baurechtsbehörden werden sich voraussichtlich an der Auffassung des Ministeriums orientieren und nicht einschreiten. Sie werden die örtlichen Bauvorschriften schlicht unangewendet lassen. Anders als im Regelfall besteht für bestehende örtliche Bauvorschriften aufgrund des Satz 3 der Regelung auch eine Normverwerfungskompetenz der Behörde.

Die Kommunen können zwar – auch gerichtlich – verlangen, dass die Baurechtsbehörden ermessenfehlerfrei über ein Einschreiten entscheiden. Kommt es dann im gerichtlichen Verfahren auf die Verfassungsmäßigkeit an, müsste das Gericht das Gesetz dem Staatsgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht vorlegen.

Schneller und klarer in der Positionierung kann vor diesem Hintergrund – vorbehaltlich einer eingehenden Prüfung – eine Verfassungsbeschwerde sein. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht oder der Staatsgerichtshof eine verfassungskonforme Auslegung für ausreichend hält, hätte man mit einer Entscheidung auch darüber Klarheit. Gleichzeitig würden die Kommunen damit ein politisches Signal senden, dass sie sich einen handwerklich und inhaltlich schwer vermittelbaren Eingriff in ihre Planungshoheit nicht gefallen lassen. Und sie würden auch verhindern, dass erneuerbare Energien dadurch in Verruf geraten, dass sie von Eigentümern missbraucht werden, um sich mit Solarzäunen einzuigeln.

Dr. Peter Neusüß

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