30.07.2025

Nutzungsuntersagung mit Duldungsanordnung hebelt Mietvertrag aus

VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.04.2025 – 3 S 318/25 – Anmerkung von RAin Marie-Lea Andert

Sachverhalt und Entscheidungsgrundlage:

Das Landratsamt Ortenaukreis ordnete gegenüber dem Kläger an, auf seinem Grundstück die ungenehmigte Nutzung seiner Hütte zu Wohnzwecken zu beenden und die dort ungenehmigt abgestellten Wohnwagen, die zur Unterbringung von Personen genutzt wurden, zu entfernen.

Zur Durchsetzung dieser Anordnungen wurden Zwangsgelder angedroht. Gleichzeitig erteilte das Landratsamt gegenüber den Mietern der Hütte und der Wohnwagen eine Duldungsanordnung, wonach diese die Nutzungsuntersagung und die Beseitigungsanordnung gegenüber dem Kläger zu dulden hätten. Gegen die Duldungsanordnung legten die Mieter keinen Widerspruch ein.

Der Widerspruch des Klägers gegen die Zwangsgeldandrohung blieb erfolglos. Auch die hierauf vor dem Verwaltungsgericht Freiburg von dem Kläger erhobene Klage gegen die Zwangsgeldandrohung wurde abgewiesen. Gegen das Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg.

Der Kläger begründete seinen Antrag damit, dass die Erfüllung der Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung wegen der mietvertraglich eingeräumten Besitzrechte der Mieter an der Hütte und den Wohnwagen unmöglich sei und das Verwaltungsgericht dies verkenne.

Entscheidung:

Der VGH lehnte den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ab. Die Erfüllung der Nutzungsuntersagung und Beseitigungsanordnung sei für den Kläger nicht unmöglich.

Zwar müsse gemäß § 11 LVwVG  die Vollstreckung eingestellt werden, wenn sich zeige, dass der Zweck der Vollstreckung durch die Anwendung von Vollstreckungsmitteln nicht erreicht werden könne.

Werde einem Betroffenen etwas aufgegeben, wozu er privatrechtlich auf die Mitwirkung Dritter angewiesen sei, so sei eine derartige Verfügung nicht subjektiv unmöglich. Die erlassende Behörde könne den nicht in Anspruch genommenen Mitberechtigen (hier die Mieter) nachträglich durch eine auf § 47 Abs. 1 Satz 2 LBO gestützte Duldungsanordnung heranziehen und auf dieses Weise das Vollstreckungshindernis beseitigen. Dies habe das Landratsamt hier getan.

Die Duldungsanordnung ziele darauf ab, privatrechtliche Abwehransprüche eines Dritten auszuschließen und gestalte die zivilrechtliche Lage. Denn dem Adressaten der Duldung werde kraft öffentlichen Rechts die Pflicht auferlegt, die zwangsweise Durchsetzung des Gebots hinzunehmen. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.1972 – IV C 42/69; Senatsbeschluss vom 07.01.1981 – 3 S 2326/80; Senatsbeschluss vom 30.03.1987 – 3 S 3063/86).

Im vorliegenden Fall sei dem Kläger infolge der Duldungsanordnung die Erfüllung seiner gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber den Mietern bestehenden mietvertraglichen Hauptleistungspflicht zur Gebrauchsüberlassung gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden. Er hätte erfolgreich gegenüber den Mietern die Kündigung erklären und die Räumungsklage erheben können. Die Mieter hätten auch keine Abwehransprüche gemäß § 862 Abs. 1 BGB wegen Besitzstörung einwenden können.

Fazit:

Bemerkenswert ist an dieser Entscheidung, dass ein Mieter durch eine rechtskräftige Duldungsanordnung im Zusammenhang mit einer gegenüber dem Vermieter angeordneten Nutzungsuntersagung seinen mietvertraglichen Primäranspruch auf Überlassung des Mietobjekts verlieren kann.

Allerdings ist der Mieter in vergleichbaren Fällen – und hierzu machte der VGH keine Ausführungen – nicht rechtlos gestellt.

Zum einen besteht für den Mieter die Möglichkeit, selbst gegen die Duldungsanordnung ein Rechtsmittel einzulegen, um wenigstens Zeit zu gewinnen. Zum anderen kommen Schadensersatzansprüche des Mieters gegen den Vermieter in Betracht, wenn der Vermieter schuldhaft die Wohnung nicht überlassen kann. Dies dürfte dann der Fall sein, wenn er das Mietobjekt unter Vereinbarung eines baurechtswidrigen Nutzungszwecks vermietet und daher die Einlegung eines Rechtsmittels des Vermieters gegen die Nutzungsuntersagung und damit in der Regel auch ein etwaiges Rechtsmittel des Mieters gegen die Duldungsanordnung keinen Erfolg hat.

Maßgebliche Vorschriften:

§ 11 LVwVG

Wenn der Zweck der Vollstreckung erreicht ist oder wenn sich zeigt, dass er durch die Anwendung von Vollstreckungsmitteln nicht erreicht werden kann, ist die Vollstreckung einzustellen.

§ 47 LBO-BW

(1) Die Baurechtsbehörden haben darauf zu achten, dass die baurechtlichen Vorschriften sowie die anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Errichtung und den Abbruch von Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 eingehalten und die auf Grund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen befolgt werden. Sie haben zur Wahrnehmung dieser Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach pflichtgemäßem Ermessen erforderlich sind. (…)

§ 862 BGB

(1) Wird der Besitzer durch verbotene Eigenmacht im Besitz gestört, so kann er von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Besitzer auf Unterlassung klagen. (…)

§ 535 BGB

(1) Durch den Mietvertrag wird der Vermieter verpflichtet, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. (…)

§ 275 BGB

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. (…)

§ 280 BGB

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverltzung nicht zu vertreten hat. (…)

Beitrag von Rechtsanwältin

Marie-Lea Andert

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